Ist das 1. Schuljahr weitgehend noch ein Ausdruck des nachlassenden Kindergartenalters gewesen, das 2. Jahr ein unsicheres, unbewusstes Suchen nach Neuem, so kommt das Kind im Laufe der 3. Klasse mehr und mehr zu sich selbst. Es setzt sich in diesem und nächsten Jahr von seiner Umgebung und den Mitschülern deutlicher ab.
Zum ersten Mal scheint es sein eigenes Wesen zu erleben, getrennt von der Welt, in der es bislang nachahmend verschmolzen war. Manchmal weiß der Neunjährige blitzartig etwas von seinem späteren Schicksal, welches oft hernach so eintritt. Berufsvisionen tauchen auf. Dieser Weg zum eigenen Innern kann mit Staunen, jedoch auch mit Ängsten und leiblichen Beschwerden einhergehen. Die Erwachsenen werden genauer auf ihre Echtheit geprüft.
Das plötzliche Siezen des Lehrers ist nur ein Ausdruck dieses Prozesses. Aus den gewöhnlichen Alltäglichkeiten, in denen es seit seiner Geburt völlig unbewusst gelebt hat, erwacht es und damit die unterschwelligen Fragen zu seiner Herkunft, der aller Menschen und der gesamten Welt. Der Klassenlehrer erzählt, dies wissend, die welt- und kulturgeschichtlichen Schilderungen des Alten Testamentes.
Das Kind hört von der Schöpfung, von dem anfänglichen Geführtwerden und späteren Selberringen bis hin zum selbständig lebenden Volk Israel. Und wer wollte sich nicht mit den einzelnen Führungspersönlichkeiten der Menschheit identifizieren, wenn die Wortgewalt des Lehrers sie in Gestalt eines Moses, Elias oder Salomo zur Erscheinung bringt.
Oft ist in jeder Klasse ein kleiner gewitzter „David“, der sich eines „Riesen“ erwehren muss oder ein weisheitsvoller Rater, der prophezeit. Das alte Testament wird damit zum Erziehungsbuch losgelöst von allen Konfessionen. Das Sprechen von den hebräischen Schöpfungsworten und von Psalmen dürfen Kraft und Zuversicht gebend nicht fehlen. Gerne werden auch eigene Psalme geschrieben, selbstverständlich die Welt um sich herum mit kindlichen Worten lobend, preisend oder dankend.
Gerne stellt sich das Kind nun auch der Klasse gegenüber, sei es um alleine vorzusingen, zu flöten oder vorzulesen. Mit diesem Schritt des Fußfassens in die Gegebenheiten der Gesellschaft interessiert sich der Drittklässler mehr und mehr für die Grundlagen des Lebens und für die Arbeit des Menschen.
Da kann es sein, dass der Lehrer in der Sachkunde eines Tages mit den Kindern einen Acker pflügt und Roggen sät. Durch eigenes Tun sollen sie den langen Weg von der Saat zur Ernte, vom Dreschen, Mahlen, Backen bis zum Verzehren des Brotes erleben, über ein ganzes Jahr bis in die 4. Klasse hinein. Die Grundgetreidearten werden in ihrem individuellen Charakter zu unterscheiden gelernt und auch der Geschmack derselben darf nicht fehlen.
Ein anderes Mal steht ein Spaziergang durch die Stadt an. Immer wieder werden die Fortschritte bei einem Hausbau beobachtet und besprochen: Wie ein Rädchen ins andere greift, wie tüchtig und geschickt die Hände zusammen schaffen. Die verschiedenen Mauerverbände werden dann im Klassenzimmer geübt und damit für nächste Zeit der bewusstere Blick auf jede Mauer der Umgebung gewährleistet. Auch die Zusammensetzung des Mörtels wird besprochen.
Manchmal baut jedes Kind in Miniatur sein eigenes Traumhaus oder die Klasse darf, je nach momentanen Möglichkeiten eine kleine Hütte, eine Mauer oder Sitzbank bauen, womöglich mit selbstgesuchten Steinen.
Gerne wird auch so manchem Handwerker über die Schulter geschaut, z.B. dem orthopädischen Schuster, der uns die einzelnen Arbeitsschritte hin zum fertigen Schuh zeigt, einem Buchbinder, unter dessen Anleitung eigene Hefte gebunden werden, oder der Schneiderin um die Ecke, die mit allen Kindern eine Weste näht. Ganz besonders schmackhaft wird das Erlebnis in der engen Backstube, wenn der Meister eine Extraschicht einlegt und für uns „Amerikaner“ backt oder uns in die Kunst des Brezelformens einweiht.
Die Welt wird durch erfahrene Menschen verständlich, zeugt von ihrer Weisheit und Kunstfertigkeit und ruft Achtung hervor. Im Umgang mit den Alltäglichkeiten des Lebens werden erste Briefe, auch Geschäftsbriefe, verfasst.
Das schriftliche Rechnen nach Kaufmannsart darf auch nicht fehlen. Da werden die Maße durch Abwiegen von z.B. selbstgetrockneten Kräutern oder des Ranzeninhalts erprobt, der Zollstock wird seiner Aufgabe durch Messen der Kindergröße und des Klassenzimmers gerecht.
Ganz nebenbei stellen die Kinder fest, dass sie in 3 Monaten ungefähr 2 cm wachsen. Um dann die eigene Sicherheit beim Kaufmannsrechnen zu prüfen, wird evtl. für die Schulgemeinschaft etwas geplant, produziert und verkauft. Dann naht der große Tag, mit richtigem Geld zu hantieren: Ob die Kasse am Ende stimmt? Alle prüfen es am nächsten Tag im Unterricht nach. Selbstgefundene Textaufgaben, die zu den Sachkundethemen passen, werden begonnen.
Ein bodenständiges Jahr!
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Die Fachunterrichte gestalten dies entsprechend, z.B. wird nun in der Diatonik im Musikunterricht die Notenschrift gelernt, wie auch jeder sein ihm entsprechendes Streichinstrument zu spielen beginnt.